Liebe macht klug

Eine lustige Geschichte von Paul Bliß
in: „Freie Presse für Texas” vom 06.03.1901,
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 19.04.1903,
in: „Lienzer Zeitung” vom 24.07.1910 (unter dem Titel: „Harte Köpfe”),
in: „Badische Presse” vom 27.02.1901


Liebe macht klug

Eine lustige Geschichte von Paul Bliß
in: „Freie Presse für Texas” vom 06.03.1901,
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 19.04.1903,
in: „Badische Presse” vom 27.02.1901

Das schöne weiße Haus, in dem Herr Anton Rüstig wohnte und eine Bäckerei betrieb, war entschieden das stattlichste Gebäude im ganzen Städtchen. Das Haus gehörte einem alten Fräulein, das es von den Eltern geerbt hatte und das es nicht verkaufen wollte, obgleich ihm, sowohl von Meister Rüstig, wie auch von anderen Liebhabern schon recht nette Sümmchen darauf geboten waren.

Ja, der biedere Bäckermeister, der gar zu gern Besitzer dieses schönen Hauses gewesen wäre, hatte sogar schon oft manchen Streit mit dem alten Fräulein bestehen müssen, weil diese eigensinnig als Herrin waltete und Meister Rüstig auch ein Hartkopf war. Nun hätte er, wohlhabend wie er war, sich ja selber ein Haus bauen können, dazu war er aber erstens zu bequem und haßte die Unruhen des Umzuges, dann aber war er auch zu abergläubig, denn er sagte sich: in dem alten Hause bist du reich geworden, hier bleib' ich, denn in diesen Mauern wohnt dein Glück! Und so blieb, trotz der Spannung zwischen Wirthin und Miether, jahraus, jahrein alles beim alten.

Meister Anton Rüstig hatte eine Tochter, sie war blond und schlank, neunzehn Jahre alt und hieß Else; und da sie nicht nur wohlhabend, sondern hübsch und lieb war, hatte sie viele Verehrer.

Von all den reichen und stattlichen Anbetern konnte keiner von sich sagen, daß er der Bevorzugte sei. Und das kam daher, weil sie ihr kleines Herz bereits verschenkt hatte.

Fritz Brückmann hieß der Auserwählte und war ein frischer, forscher Kerl, der Mund und Herz auf dem richtigen Fleck hatte, aber — er war beim Meister Rüstig im Dienst als erster Geselle und das war sein Unglück, denn der stolze Meister würde seine einzige Tochter nie seinem Gesellen geben.

Das wußten die beiden Liebenden ganz genau, und darum lief Elschen oft heimlich mit kummerschwerem Herzen und mit verweinten Augen umher, Fritz hingegen ließ den Kopf nicht hängen, denn er vertraute auf seine Kraft und auf das Glück, das jeder wahren Liebe noch immer hold ist.

Aber eines Tages kam der unausbleibliche Krach. Meister Rüstig kam hinter die Liebschaft der beiden jungen Leute. Und nun flog das stolze Gebäude junger Hoffnungen jählings in die Luft.

Elschen mußte ihren Koffer packen und zu den Verwandten nach der Hauptstadt reisen, und dem jungen Gesellen wurde sehr energisch bedeutet: entweder, oder, d.h. entweder gieb jede Hoffnung auf — oder den Dienst!

Und Fritz Brückmann war mannhaft genug, dem alten Hartkopf zu trotzen — er verzichtete nicht auf seine blonde Else, und deshalb spedirte Meister Rüstig ihn mit einem Millionen-Donnerwetter an die frische Lusft.

Lächelnd, wenn auch nicht leichten Herzens, zog der junge Mann von dannen. Er war ja muthig und stark, verstand sein Handwerk, und Liebchen hatte geschworen, treu an ihm festzuhalten. Also mußte es auch eines Tages wieder besser kommen!

An einem schönen Frühlingstage kam ein Trupp Maurer und Zimmerleute im Städtchen an, die quartierten sich gegenüber von Herrn Anton Rüstig ein, und nun begann dort drüben ein emsiges Treiben: Mauern wurden eingerissen, Schaufenster und Ladenthür wurden dafür eingesetzt, ein mächtiger Backofen wurde gebaut.

Und Meister Rüstigs Laune wurde mit jedem Tage unerträglicher.

Längst schon wußte jedermann im Städtchen, daß Fritz Brückmann seinem früheren Brodherrn gerade gegenüber ein Concurrenzgeschäft etablirte

„Laßt ihn nur, den Grünschnabel,” pflegte der ergrimmte Meister zu sagen, „laßt ihn nur aufmachen; er wird schon bald genug wieder zumachen müssen!”

Aber der junge Mensch kümmerte sich den Teufel um dies oder jenes Geschwätz; ruhig ging er seinen Weg weiter, denn er wußte ganz genau, was er wollte.

Nach einem Monat war das neue Geschäft fertig und strahlte im Glanz seiner prächtigen Neuheit. Nicht nur eine Bäckerei war da entstanden, sondern etwas für das Städtchen ganz Neues: eine Conditorei und ein „Café”.

Und Meister Rüstigs Laune war jetzt derart schlimm, daß jedermann, der ihn kommen sah, einen Bogen machte, um ihm aus dem Wege zu gehen.

Natürlich wollte jeder sehen, was da Neues entstanden war, und deshalb war in den ersten Wochen das Lokal immer gut besucht; aber es wurde noch besser, denn der junge Meister bekam auf seine Eingabe bei der Behörde auch die Schankgerechtigkeit, und so gingen nicht nur die Damen und Jünglinge in die Conditorei, sondern auch die Herrenwelt pilgerte ins Café, allwo es ein Glas vortreffliches Pilsener vom Faß gab, was bisher im Städtchen auch nicht zu haben gewesen war.

Meister Rüstig wurde immer ergrimmter, und am meisten wurmte es ihn, daß er jeden Tag es mit ansehen mußte, wie da drüben die Leute ein- und ausgingen, am liebsten ging er schon gar nicht mehr ins Vorderzimmer, um sich die Laune nicht vollständig zu verderben.

„Laß nur,” tröstete er sich und seine stille Frau — „laß nur immer die Leute laufen, das hat jetzt den Reiz der Neuheit für sie, und wenn der erst weg ist, wird kein Mensch mehr hingehen in die Giftbude! — Mit der Bäckerei aber wird er mir nie und nimmer hochkommen, dafür will ich schon sorgen!”

Fritz Brückmann seinerseits wußte, daß er einenn schweren Kampf zu bestehen hatte, aber er führte ihn dennoch durch; er kannte ja genau die Backrezepte seines früheren Meisters und wußte von dem ganzen Geschäftsgang seines Gegenübers auf das beste Bescheid; und so lieferte er denn sämmtliche Backwaaren nicht nur besser und größer als der alte Meister, sondern er führte auch ganz neue Gebäcke ein, die man bisher gar nicht gekannt hatte, und die ihm viel neue Kunden und Freunde ins Haus brachten.

Nach drei Monaten war es bereits dahin gekommen, daß ein großer Theil alter Stammkunden von Meister Rüstig zu dem neuen Geschäft übergingen.

Nun wurde der alte Meister aber doch schweigsam, denn er sah, daß er diesem jungen Menschen nicht Stand halten konnte. Zwar machte er noch einige verzweifelte Versuche, die verloren gegangene Kundschaft zurückzuerobern, aber es mißlang ihm, denn er war nicht mehr jung und elastisch genug, um den Concurrenzkampf mit Geschick und Ausdauer durchzuführen. Also zog er sich grollend in seine vier Wände zurück, haderte mit den Seinen und mit allen, die ihm nahe kamen, und ließ das Geschäft gehen wie es wollte; — schließlich war er ja reich genug, eine Concurrenz ertragen zu können.

Bei dem neuen Meister aber blühte das Geschäft mit jedem Tage besser auf; die Bäckerei erzielte sehr gute Resultate; die Conditorei war bereits der Damenwelt ein unentbehrliches Bedürfniß geworden, und in dem Café entwickelte sich jetzt sogar so etwas wie „Nachtleben”.

Fritz Brückmann, einst kaum beachtet und über die Schulter angesehen, war jetzt der Mann des Tages.

„Wo dieser Teufelskerl nur das Geld herhaben mag?” fragten sich die Leute, denn man wußte ja von früher, daß er keinen Heller Vermögen besaß.

Aber Niemand vermochte darüber Auskunft zu geben.

Um diese Zeit kam Else Rüstig zurück in das Haus ihrer Eltern, weil der heiße Sommer in der Hauptstadt unerträglich war.

„Daß du mir ja nicht wieder die Geschichte mit dem Grünschnabel da drüben anfängst!” fuhr sie der ergrimmte Vater an, als kaum die erste Begrüßung vorüber war, „sonst sollst du mich erst kennen lernen!”

Mit Mühe beschwichtigte ihn seine Frau, Else sagte gar nichts. Sie war nun fest entgschlossen, ihren Willen durchzusetzen, koste es, was es wolle. Natürlich hatte sie mit dem Geliebten einen regen, aber vollständig geheimen Briefwechsel unterhalten, war also über die Lage der Dinge vollständig unterrichtet.

Da gab es eines Tages eine unerhörte Neuigkeit im Städtchen: Fräulein Hermann, die Wirthin des Herrn Anton Rüstig, hatte sich endlich eines Besseren besonnen und ihr stattliches Haus verkauft.

„An wen? An wen denn?” fragte jedermann.

Und das war eben das Unerhörte! Nicht Herr Anton Rüstig hatte das Haus bekommen, sondern sein grimmer Concurrent gegenüber hatte es käuflich erworben — weil die Räumlichkeiten seines jetzigen Lokals nicht mehr groß genug waren, wollte er hier ein Unternehmen großen Stils etabliren.

Das gab Herrn Anton Rüstig den Rest — also nun sollte er gar aus dem Hause getrieben werden von dem jungen „Grünschnabel”! — Aber diesmal wüthete er nicht, nein, diesmal setzte er sich in seinen Sorgenstuhl, stützte den Kopf und sah in stiller Wehmuth vor sich hin — über ihn kam die Erkenntniß, daß er ein alter Mensch war, der abgewirthschaftet hatte, und daß die Zukunft der Jugend gehörte — und eine leise Thräne stahl sich aus dem Auge und rollte in den grauen Bart hinunter.

Da aber kam seine Frau, streichelte ihm zärtlich über's Haar und sagte leise: „Nicht doch, Alterchen, nimm dir's doch nicht zu Herzen — wir haben ja noch ein Kind, und an dem wollen wir unsere eigene Jugend noch einmal erleben!”

Er aber schob sie leise beiseite — denn für den Gedanken, den sie ihm da suggeriren wollte, war er noch nicht reif, das fühlte er —dazu haßte er seinen thätigen jungen Nebenbuhler noch zu sehr.

Und dann geschah das Unerwartete. Eines Tages kam Herr Fritz Brückmann, klopfte an die Thür seines früheren Meisters und bat um eine geschäftliche Unterredung.

„Sie wünschen?” empfing ihn der Alte barsch, ohne ihn anzusehen.

Fritz aber antwortete höflich und gewandt, daß er, als neuer Besitzer, sich nun gezwungen sehe, ihm die Wohnung zu kündigen, da er die Räumlichkeiten jetzt zu seinem eigenen Geschäft benöthige.

Noch einmal kam alle Galle in dem Alten hoch, und schon hatte er ein herbes Wort auf der Zunge; aber als er nun diesen stattlichen, frischen, jungen Mann, das Bild blühenden Lebens und regsamer Arbeitskraft, so vor sich stehen sah, da schwand nach und nach sein Zorn — er dachte an seine eigene Jugend, wie auch er sich einst im Leben durchgerungen und sich durchgesetzt hatte — und da wurde er milder und fragte:

„Warum haben Sie mir denn bloß das alles angethan — Mensch?”

Lächelnd antwortete der Junge: „Besinnen Sie sich, Meister, was Sie mir damals. als Sie mich fortjagten, nachriefen?”

Der Alte verneinte.

„Damals sagten Sie wörtlich: Einem Schnorrer gebe ich mein Kind nicht! — Jawohl, Schnorrer sagten Sie! — Und sehen Sie, das hat mich angespornt, Ihnen zu beweisen, daß ein braver Kerl mit Muth und Fleiß ebenso viel werth ist, als ein Haufen Gold. Darum habe ich mich gerade hier niedergelassen.”

Da verzog der Alte das Gesicht, gab ihm die Hand und sagte: „Na, ich nehm' heute zurück, was ich damals gesagt habe.”

Und so schieden sie versöhnt von einander.

Von nun an fiel Schranke auf Schranke, die einst die beiden Liebesleute getrennt hatte.

Und als der Herbst dann ins Land kam, und als Fritz sein neues Haus bezog, da konnte der alte Herr nicht mehr gut anders, da mußte er die Hände der Kinder ineinander legen und zu allem Ja und Amen sagen.

Und da wurde denn auch das große Räthsel gelöst, das den Bewohnern des Städtchens so viel Kopfzerbrechen verursacht hatte.

Der stille Theilhaber, der Geldgeber des jungen Meisters, war jenes alte Fräulein Herrmann gewesen; es hatte von dem Liebesglück der beiden jungen Leute gewußt, und um dem alten Starrkopf, der sie so oft geärgert hatte, auch einmal einen Streich zu spielen, hatte sie dem jungen Menschen das Geld zu dem neuen Etablissement geliehen.

So war also die als geizig und gehässig verschriene alte Jungfer die Glückstifterin dieser jungen Ehe geworden — und Meister Rüstig brachte es nicht einmal fertig, deshalb auf sie wüthend zu werden. Im Gegentheil, als ein paar Wochen später die Hochzeit gehalten wurde, mußte das alte Fräulein Herrmann mit ihm die Polonaise tanzen, und bei dem folgenden Walzer zeigte Meister Rüstig, daß er trotz allem ausgestandenem Aerger seinen Namen noch verdientermaßen trug.

Harte Köpfe

Eine lustige Geschichte von Paul Bliß
in: „Lienzer Zeitung” vom 24.07.1910 (unter dem Titel: „Harte Köpfe”)

Der Bäckermeister Anton Rüstig hätte eigentlich ein glücklicher Mensch sein müssen. Er war ein gesunder und kraftvoller Mann, der trotz seiner sechzig Jahre noch regsam und rüxtig war, seine Frau und sein blondes Töchterlein waren ebenfalls fröhlich und wohlauf, und sein Geschäft war seit zwei Jahrzehnten das beste in der kleinen Stadt und hatte ihm bereits so viel eingebracht, daß er gut und gern von seinen Renten hätte leben können. — Denoch aber war er unzufrieden mit seinem Schicksal, und oft gab es Tage, an denen jeder im Hause ihm am liebsten aus dem Wege ging.

Der gute Meister Rüstig war nämlich ein arger Hartkopf, was er sich einmal vorgenommen hatte, das mußte auch durchgeführt werden, und sollte es Kopf und Kragen kosten. Widerspruch duldete er nicht, sein Wille allein sollte Gesetz sein. Und nun mußte er es aber erleben, daß sein Kind, sein eigen Fleisch und Blut, ihm Trotz bot.

Als guter, fürsorglicher und weiter blickender Vater hatte er das Wohl seines Kindes im Auge, und als solcher hatte er sich lange im geheimen nach einem Schwiegersohn umgesehen. — Endlich war sein Suchen auch von Erfolg begleitet, er hatte einen tüchtigen jungen Mann aus gutem Hause gefunden, der ihm als der passendste erschien, und diesen jungen Freiersmann hatte er nach und nach in sein Haus und in sein Vertrauen gezogen.

Else, das blonde Töchterlein, aber hatte des Vaters harten Kopf geerbt. Anfangs sah sie still und schmunzelnd seinem Treiben zu und ließ ihn ruhig gewähren, als aber der Alte einmal Farbe bekannte und mit seiner Idee herausrückte, da sah die Kleine ihn mit gut gespieltem Erstaunen an, indem sie fragte: „Weshalb sorgst du dich denn so um meine Zukunft? Du weißt ja noch gar nicht, ob ich überhaupt heiraten will.”

„Ja, willst du vielleicht gar ledig bleiben?” fragte der Alte darauf mit verhaltenem Grimm.

Elschen aber erwiderte resolut: „Das werde ich mir erst mal in aller Seelenruhe überlegen. Jedenfalls aber heirate ich nur den Mann, den ich mir ausgesucht habe.”

Meister Anton Rüstig biß die Zähne zusammen, sah seine Einzige mit einem Wutblick an, doch antworten tat er nichts, und bei sich dachte er: Sapperment, solche Energie hätte ich der Krabbe gar nicht zugetraut! — Nach einer Weile erst besann er sich auf seine väterliche Würde, und nun sagte er ernst und fest: „In einer so wichtigen Angelegenheit rede ich auch ein Wort mit, mein Kind, das merke dir gefälligst. Und wenn mir der Mann, den du dir ausgesucht hast, nicht gefällt, dann bekommst du ihn nicht. So, nun weißt du, woran du bist.” — Glutübergossen stand die Kleine da und sah dem fortschreitenden Vater nach. Die Tränen waren ihr nahe, aber sie machte sich stark, preßte die Lippen aufeinander und sagte: „Nie, nie laß ich mir einen anderen aufreden!”

Von dem Tage an hatte der Alte ein etwas wachsameres Auge auf die Tochter, denn er ahnte, daß das Herzchen nicht mehr so ganz frei war. Fast auf allen Wegen spionierte er ihr nach oder ließ sie beobachten.

Und richtig: eines Tages, als man ihn am Stammtisch in der „Krone” wähnte, kam er ganz unverhofft heim, und siehe, da überraschte er in der dichten Pfeifenkrautlaube ein kosendes Paar — sein erster Geselle umfaßte und küßte seine einzige Tochter. Mit einem Donnerwetter fuhr er dazwischen und trennte die jungen Leute.

Fritz Brückmann, der Geselle, ein stattlicher, strammer Bursche, erwiderte aber mutvoll: „Meister Rüstig, Ihre Tochter und ich haben uns gern, es ist eine ehrliche Neigung, seien Sie nicht so hart!”

Der Alte aber rief empört: „Packen Sie nur sofort Ihre Sachen, Sie Grünschnabel, und scheren Sie sich meinethalben zum Teufel! Einem Habenichts, einem Schnorrer, gebe ich mein Kind denn doch nicht!” Und wütend zog er die Kleine mit fort.

Der junge Geselle aber blieb tief verletzt und beschämt zurück, dann hob er drohend die Hand und murmelte: „Wart' nur, alter Hartkopf, dies Wort sollst du mir doch noch einmal abbitten!” — Bald schnürte er sein Bündel, schrieb der Tochter ein Abschiedswort und dann zog er in die Welt hinaus.

Elschen aber wurde sofort zu Verwandten geschickt, weit fort in die Hauptstadt, wo sie ihr Abenteuer vergessen sollte.

*           *           *

Außer dieser Sorge aber gab es noch einen wunden Punkt im Leben des meisters Anton Rüstig.

Das Haus, in dem er seit dreißig Jahren wohnte und seine gutgehende Bäckerei hatte, gehörte nicht ihm. Fräulein Hermann, eine etwas wunderliche alte Dame, war die Besitzerin des stattlichen Hauses, und Meister Rüstig nur Mieter.

In den ersten Jahren seiner Etablierung war es ihm nur erst recht mäßig ergangen, so daß er an die Erwerbung eines Hauses nicht denken konnte, sondern froh war, eine Mietwohnung zu bekommen; als aber mit den Jahren das Glück kam, als das Geschäft emporblühte und ihm zum Wohlstande verhalf, da regte sich mehr und mehr der Wunsch, das Haus zu besitzen.

Aber das Fräulein Hermann hatte auch einen harten Kopf. Rundweg erklärte sie dem verblüfften Meister: „Solange ich lebe, verkaufe ich mein Haus nicht — und damit basta!”

Doch so leicht ließ er nicht locker. Er kannte ja das wunderliche alte Fräulein und sagte sich, daß man hier mit Güte und Geduld vielleicht mehr erreichen konnte. — Er wartete also ein Weilchen und kam dann mit seinem Angebot wieder.

Das Fräulein indes fertigte ihn wieder kurz und bündig ab.

Und da verlor er die Geduld, und im aufsteigenden Zorn murmelte er so etwas wie „alte Jungfernschrulle”.

Von dem Tage an haßten sich die Besitzer und Mieter; zwar gingen sie sich sorglich aus dem Wege, was man sich aber hinterrücks antun konnte, das tat man redlich, und so machten sie sich gegenseitig das leben recht schwer.

Nun hätte der Meister ja ebensogut ein anderes Haus kaufen oder auch sich selber ein eigenes Haus bauen können, aber dazu war er erstens zu bequem und haßte er die Unruhen des Umzuges, dann aber war er auch aber gläubisch, denn er sagte sich: In dem alten Hause bist du reich geworden, hier bleib', denn in diesen Mauern wohnt dein Glück! Und so blib trotz der Spannung zwischen Wirtin und Mieter jahraus jahrein alles beim Alten.

*           *           *

Ungefähr ein halbes Jahr nach jenem Ereignis war Fritz Brückmann, der so Knall und Fall entlassene Geselle Meister Antons, plötzlich wieder im Städtchen. Jedermann wunderte sich darüber, am meisten der alte Meister selber, wenn er es auch niemand merken ließ.

Doch Meister Rüstig sollte sich bald noch mehr wundern, denn eines Tages kam eine Anzahl Maurer und Zimmerleute in dem Städtchen an, die quartierten sich gegenüber von Herrn Anton ein, und nun begann dort drüben ein emsiges Treiben: Mauern wurden eingerissen, Schaufenster und Ladentür wurden dafür eingesetzt, ein mächtiger Backofen wurde gebaut, und Tag um Tag, ja sogar halbe Nächte hindurch, wurde gearbeitet, so daß oft kein Mensch in der Nachbarschaft recht zur Ruhe kommen konnte.

Und bald wußte es das ganze Städtchen, daß Fritz Brückmann seinem früheren Brotherrn gegenüber eine neue Bäckerei etablierte.

Meister Anton ward wütend, doch auch jetzt noch schluckte er seinen Groll herunter, zeigte allen Leuten gegenüber ein überlegemes Lächeln und tat, als ginge ihn das gar nichts an.

„Laßt ihn nur, den Grünschnabel,” pflegte er so leichthin zu sagen, „laßt ihn nur aufmachen; er wird schon bald genug wieder zumachen müssen!”

Aber der junge Mensch kümmerte sich den Teufel um dies oder jenes Geschwätz; ruhig ging er seinen Weg weiter, denn er wußte ganz genau, was er wollte.

Nach einem Monat war das neue Geschäft fertig und strahlte im Glanz seiner prächtigen Neuheit. Nicht nur eine Bäckerei war entstanden, sondern etwas für das Städtchen ganz Neues: eine Konditorei ud ein „Café”.

Jetzt aber konnte der alte Meister seinen Aerger nur schlecht verbergen, und wenn ihn jemand nach seiner Meinung über das neue Etablissement fragte, gab er eine kurze und barsche Antwort.

Das neue Geschäft aber reüssierte ganz außerordentlich.

Natürlich wollte jeder im Städtchen sehen, was da Neues entstanden war, und deshalb war in den ersten Wochen das Lokal immer gut besucht. Aber es kam noch besser, denn der junge Meister bekam auf seine Eingabe bei der Behörde auch die Schankgerechtigkeit, und so gingen nicht nur die Damen und Jünglinge in die Konditorei, sondern auch die Herrenwelt pilgerte ins Café, allwo es ein Glas vortreffliches Pilsener vom Faß gab, was bisher im Städtchen noch nicht zu haben gewesen war.

Meister Rüstig wurde immer ergrimmter, und am meisten wurmte es ihn, daß er es jeden Tag mitansehen mußte, wie da drüben die Leute ein- und ausgingen, am liebsten ging er schon gar nicht mehr ins Vorderzimmer, um sich die Laune nicht vollständig zu verderben..

„Laß nur,” tröstete er sich und seine stille Frau, „laß nur immer die Leute laufen, das hat jetzt den sogenannten Reiz der Neuheit für sie, wenn der aber erst weg ist, wird kein Mensch mehr hingehen in die Giftbude! — Mit der Bäckerei aber wird er mir nie und nimmer hochkeommen, dafür will ich schon sorgen.”

Fritz Brückmann seinerseits wußte, daß er einen schweren Kampf zu bestehen hatte, aber er führte ihn dennoch durch; er kannte ja ganz genau die Backrezepte seines früheren Meisters und wußte mit dem ganzen Geschäftsgang seines Gegenübers aufs beste Bescheid; und so lieferte er denn sämtliche Backwaren nicht nur besser und größer als der alte Meister, sondern er führte auch ganz neue Gebäcke ein, die man bisher hier gar nicht gekannt hatte, und die ihm viel neue Kunden und Freunde ins Haus brachten.

Nach drei Monaten war es bereits dahin gekommen, daß ein großer Teil alter Stammkunden vom Meister Rüstig nach dem neuen Geschäft überging.

Nun wurde der alte meister aber doch schweigsam, senn er sah, daß er diesem jungen Menschen nicht standhalten konnte. zwar machte er noch einige verzweifelte Versuche, die verloren gegangene Kundschaft zurückzuerobern, aber es mißlang ihm, denn er war nicht mehr jung und elastisch genug, um den Konjurrenzkampf mit Geschick und Ausdauer durchzuführen. Also zog er sich grollend in seine vier Wände zurück, haderte mit den Seinen und mit allen, die ihm nahe kamen, und ließ das Geschäft gehen, wie es wollte; schleißlcih war er ja reich genug, eine Konkurrenz ertragen zu können.

Bei dem neuen Meister aber blühte das Geschäft mit jedem Tage besser auf. Die Bäckerei erzielte sehr gute Resultate, die Konditorei war bereits der Damenwelt ein unentbehrliches Bedürfnis geworden und in dem Café entwickelte sich jetzt sogar so etwas wie Nachtleben.

Fritz Brückmann, einst kaum beachtet und über die Schulter angesehen, war jetzt der Mann des Tages.

Wo dieser Teufelskerl nur das Geld herhaben mag? fragten sich die Leute, denn man wußte ja von früher, daß er keinen Heller Vermögen besaß.

Um diese Zeit kam Else Rüstig zurück in das Haus ihrer Eltern, weil der heiße Sommer in der Hauptstadt unerträglich war.

„Daß du mir nicht wieder die Geschichte mit dem Grünschnabel da drüben anfängst!” fuhr sie der ergrimmte Vater an, als kaum die erste Begrüßung vorüber war, „sonst sollst du mich erst kennen lernen!”

Mit Mühe beschwichtigte ihn seine Frau. Else aber sagte gar nichts. Sie war nun fest entschlossen, ihren Willen durchzusetzen, koste es, was es wolle. Natürlich hatte sie mit dem Geliebten einen regen, aber vollständig geheimen Briefwechsel unterhalten, war also über die Lage der Dinge vollständig unterrichtet.

Da gab es eines Tages eine unerhörte Neuigkeit im Städtchen: Fräulein Hermann, die Wirtin des Herrn Anton Rüstig, hatte sich endlich eines Besseren besonnen und ihr stattliches Haus verkauft.

„An wen? An wen denn?” fragte jedermann.

Und das war eben das Unerhörte! Nicht Herr Anton Rüstig hatte das Haus bekommen, sondern sein grimmiger Konkurrent von gegenüber hatte es käuflich erworben. Weil die Räumlichkeiten seines jetzigen Lokals nicht mehr groß genug waren, wollte er hier ein Unternehmen großen Stils etablieren.

Und das gab Herrn Anton Rüstig den Rest. Also nun sollte er gar aus dem Hause getrieben werden von dem jungen „Grünschnabel”. Aber diesmal wütete er nicht, nein diesmal setzte er sich in seinen Sorgenstuhl, stützte den Kopf und sah in stiller Wehmut vor sich hin. Über ihn kam die Erkenntnis, daß er ein alter Mensch war, der abgewirtschaftet hatte und daß die Zukunft der Jugend gehörte — und eine leise Träne stahl sich aus dem Auge und rollte ihm in den grauen Bart hinunter.

Da aber kam seine Frau, streichelte ihm zärtlich übers Haar und sagte leise: „Nicht doch, Alterchen, nimm dir's nicht so zu Herzen — wir haben ja noch ein Kind, und an dem wollen wir unsere eigene Jugend noch einmal erleben.”

Er schob sie leise beiseite, denn für den Gedanken, den sie ihm da suggerieren wollte, war er noch nicht reif, das fühlte er, dazu haßte er seinen jungen Konkurrenten noch zu sehr. Und dann geschah das Unerwartete. Eines Tages kam Herr Fritz Brückmann, klopfte an die Türe seines früheren Meisters und bat um eine geschäftliche Unterredung.

Fritz aber antwortete höflich und gewandt, daß er als neuer Besitzer sich nun gezwungen sehe, ihm die Wohnung zu kündigen, da er die Räumlichkeiten jetzt zu seinem eigenen Geschäft benötige.

Noch einmal kam alle Galle in dem Alten hoch, und schon hatte er ein herbes Wort auf der Zunge, aber als er nun diesen stattlichen, frischen jungen Mann, das Bild blühenden Lebens und regsamer Arbeitskraft, so vor sich stehen sah, da schwand so nach und nach sein Zorn, und er dachte an seine eigene Jugend, wie auch er einst im Leben sich durchgerungen und durchgesetzt hatte, und da wurde er milder und fragte: „Warum haben Sie mir denn bloß das alles angetan, Mensch?”

Lächelnd antwortete der Junge: „Besinnen Sie sich nicht mehr, Neister, was Sie mir damals, als Sie mich fortjagten, anchriefen?”

Der Alte verneinte.

„Damals sagten Sie wörtlich: Einem Schnorrer gebe ich mein Kind nicht! — Jawohl, Schnorrer sagten Sie! — Und sehen Sie, das hat mich angespornt, Ihnen zu beweisen, daß ein braver Kerl mit Mut und Fleiß ebensoviel wert als ein Haufen Gold. Darum habe ich mich gerade hier niedergelassen!”

Da verzog der Alte das Gesicht zu einem leisen Lächeln, gab ihm die Hand und sagte: „Na, ich nehme jetzt zurück, was ich damals gesagt habe.”

Und so schieden sie versöhnt voneinander.

Von nun an fiel Schranke auf Schranke, die einst die beiden Liebesleute getrennt hatten.

Und als der Herbst ins Land kam, , und als Fritz sein neues Heim bezog, da konnte der alte Herr nicht mehr gut anders, da mußte er die Hände der Kinder ineinanderlegen und zu allem Ja und Amen sagen.

Und da wurde denn auch dasgroße Rätsel gelöst, das den Bewohnern des Städtchens so viel Kopfzerbrechen verursacht hatte.

Der stille Teilhaber, der Geldgeber des jungen Meisters, war jenes Fräulein Hermann gewesen. Es hatte von dem Liebesglück der beiden jungen Leute gewußt. Und um dem alten Starrkopf, der sie so oft geärgert hatte, auch einmal einen Streich zu spielen, hatte sie dem jungen Menschen das Geld zu dem neuen Etablissement geliehen.

So war also die als geizig und gehässig verschriene alte Jungfer die Glückstifterin dieser jungen Ehe geworden. Und Meister Rüstig brachte es nicht einmal fertig, deshalb auf sie wütend zu werden. Im Gegenteil, als ein paar Wochen später die Hochzeit gehalten wurde, mußte das alte Fräulein Hermann mit ihm die Polonäse tanzen, und bei dem nun folgenden Walzer zeigte Meister Rüstig, daß er trotz allem ausgestandenem Ärger seinen Namen noch verdientermaßen trug.

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